SpaceNet Award 2015/16: Beste Kurzgeschichte

Gewinner der Kategorie: Kurzgeschichten

 

1. Platz: Frauke Angel – „Herzlich willkommen in Deutschland"
2. Platz: Moritz Greenman  – „Chronik eines Weltuntergangs"
3. Platz: Martin P. Anderfeldt – „#wish@god"
                 Tobias Habenicht – „Stein und Anstoß"
Nachwuchspreis: Katrin Griebenow – „Für einen Moment leben"

 

 


1.  Platz – Herzlich willkommen in Deutschland

Ich weiß nicht, worauf ich noch warte. Sitze nur da. Auf dem Tisch in der Besucherzone eine Zeitung, die titelt, dass Mark Z. Vater geworden ist. Und auf Seite drei, Lokalzeit, rechts unten,
die Nachricht, dass Machmut N. es nicht war. Überrascht mich nicht. Ich kenne Machmut. Er ist nicht böse. Er ist wütend. Heute auf den 23-Jährigen, der sich aus ungeklärten Gründen selbst verletzt und Anzeige gegen ihn erstattet hat. Gegen den Deutschen wird nunmehr selbst wegen des Vortäuschens einer Straftat ermittelt. Der mutmaßliche Verdächtige südländischen Typs darf die Untersuchungshaft verlassen. 48 Stunden. Seit dem Boot kann Machmut es in geschlossenen Räumen nicht mehr aushalten. Ich sollte gehen. Es ist besser, ihn jetzt in der neuen Heimat zu empfangen. Ich werde sie fragen, ob sie mich heiraten will. Das ist verrückt, beinahe verrückter als 45 Milliarden zu verschenken und alles, was mir heute einfällt. Jemand lacht mich an und klopft mir im Vorbeigehen auf die Schulter. Draußen beginnt es zu schneien. In der Besucherzone ist es warm und in meinem Kopf Schneegestöber. Ich schließe die Augen, versuche die Bilder einzuschließen, sie sollen bei mir bleiben, nicht verwischen...

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2. Platz –  Chronik eines Weltuntergangs

Guten Abend, meine Damen und Herren. Willkommen zur Tagesschau.

Die Vermutungen der Wissenschaftler haben sich bestätigt. Der Asteroid 733 213, der bereits gestern den Namen Ragnarök erhielt, ist auf Kollisionskurs mit der Erde. Führende Institute wie NASA und ESA haben sich heute Nachmittag auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, nach der die Wahrscheinlichkeit eines Aufpralls 98,7 Prozent beträgt. Der Himmelskörper hat einen Durchmesser von knapp 612 Kilometern und wird voraussichtlich in 84 Stunden die Erde erreichen. Im Falle eines Aufpralls gehen die Überlebenschancen der Menschheit gegen Null. Sehr verehrte Damen und Herren, dies ist wohl die letzte Sendung der Tagesschau. Ich habe die Ehre mich bei Ihnen für fast sechzig Jahre Interesse an unserer Sendung herzlich zu bedanken und mich im Namen des gesamten Teams von Ihnen zu verabschieden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und drei schöne verbleibende Tage. Leben Sie wohl...

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3. Platz –  #wish@god

Das gibt’s doch nicht. Ungläubig nahm Daniel die Packung m&m in die Hand. Kai kicherte.
Er war schon leicht stoned, wie meistens um diese Zeit. „Ich mache mal das Versuchskaninchen.“ Er riss das Papier auf und schob sich eine Handvoll in den Mund. „Aschtrein“, sagte er mit vollem Mund und hob einen Daumen. „Das. Gibt. Es. Nicht … Du hast einfach #wish@god: eine Packung m&m eingetippt und plötzlich stand die Tüte da?“ „Hast es doch gesehen. Endlich tut dein Boss mal was für uns.“ „Woher auch immer das gekommen ist, von Gott bestimmt nicht. Gott ist nicht auf Facebook.“ Daniel traute sich zu diesem Thema eine kompetente Meinung zu, immerhin studierte er schon seit zehn Semestern Theologie. „Na, du wirst uns doch nicht vom Glauben abfallen … Dann war es eben Zeus oder der Teufel. Oder das fliegende Spaghetti-Monster.Scheißegal. Ich habe meinen Gott jedenfalls gerade gefunden. Und er macht, was ich sage. Halleluja.« Er nahm sein iPad zur Hand und tippte darauf herum. „Ich finde, wir sollten das nicht tun.“ „Klar, mach halt ein Problem draus.“ „Was wünschst du dir denn jetzt? Noch eine Packung m&m? Einen Kasten Bier? Eine Freundin?“ „Weiber? Die würden doch jetzt nur stören...

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3. Platz – Stein und Anstoß

Wenn sich in der U-Bahn ein dicker, besoffener Mann in einem fleckigen, beklagenswert schlecht sitzenden Trainingsanzug neben einen setzt, dann ist das für die meisten bloß ein unerfreulicher Start in den Tag. Wenn der Besoffene dann aber das Gesicht verzieht, aufsteht und sich woanders hinsetzt, dann ist dieser Tag nur einer wie jeder andere im Leben des Herrn M. M., das ist ein Verlierer. Wenn Sie wissen möchten, wie er aussieht, geben Sie einfach „Verlierer“ auf Wikipedia ein, da finden Sie dann ein Bild von ihm. M. ist nie so ganz dahinter gekommen, woran es liegt. Die Menschen halten es in seiner Nähe einfach nicht aus. Wenn er eine Großveranstaltung von dreißigtausend Menschen besucht, dann gibt es eine Viertelstunde später ein Lautsprecher-durchsage, die ihn darüber informiert, dass ihn eigentlich niemand eingeladen hat. Wenn er einem aufstrebenden sozialen Netzwerk beitritt, dann ist es nach einer Woche tot und man findet den Moderator erhängt unterm Dach...

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Nachwuchspreis – Für einen Moment leben

Dies war das Schwierigste, was sie jemals getan hatte. Nur zäh flossen die Worte auf das Papier und obwohl so viel zu sagen wäre, sagte sie nichts von alledem. „Jeder Mensch ist ein Abgrund“, heißt es. Viele bezeichneten sie als merkwürdig und wirr, eine labile, hilfsbedürftige Gestalt sagten die einen, eine kopfkranke Wahnsinnige sagten andere. Nur eine Phase, das hatte sie sich jahrelang eingeredet, morgens beim Frühstück, mittags bei der Arbeit, abends vorm Spiegel. „Sara geht es gerade nicht so gut“, hatte ihr Freund immer zu all den anderen gesagt, doch auch er hatte letztendlich eingesehen, dass diese Phase so bald nicht vorbeigehen würde, also verließ er sie. Jeder Mensch ist ein Abgrund, dachte sie verbittert, als sie den letzten Satz beendete. Noch ein letzter Gruß, dann legte sie den Stift beiseite und machte sich auf den Weg zum Wagen...

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